Ende der 1970er Jahre führte die chinesische Regierung die Politik der „Reform und Öffnung“ ein, und die chinesische Kunst begann ebenfalls aufzutauen. Inmitten der Strömungen der Zeit widersetzten sich chinesische Künstler bewusst der offiziellen ideologischen Kunst, die vom „Sozialistischen Realismus“ repräsentiert wurde, und lehnten auch die starren Lehrmethoden der Kunstakademien ab. Im Jahr 1985 brach unabhängig voneinander eine neue Kunstbewegung in den großen Städten Chinas aus, darunter Peking, Shanghai, Nanjing, Wuhan, Hangzhou, Guangzhou und andere Regionen. Diese Bewegung trug die Fahne des modernistischen Denkens als Banner der Kunstreform. Die Künstler starteten eine Vielzahl avantgardistischer Kunstaktivitäten, die in der Kunstgeschichte als „85 Neue Welle“ (“85新潮美术”) bezeichnet werden.
Einige Kunstforscher halten die zeitgenössische chinesische Kunst, die mit der „85 Neue Welle“ begann, für blind und mangelhaft in ihrer ursprünglichen Ausdrucksweise. Doch die kreative Energie der Künstler, die jahrelang unterdrückt wurde, brach mit großer Kraft aus. Während sie blind nach „Wegweisern“ suchten, zeigten sie eine kühne ursprüngliche Kraft, die sie dynamisch und wandelbar machte. In den darauffolgenden über 20 Jahren hat die zeitgenössische Kunst in China weltweit Aufmerksamkeit erregt. Bemerkenswert ist, dass sie rasch auch auf dem Kapitalmarkt aufstieg und international geschätzt wurde. Insbesondere zwischen 2000 und 2010 erlebte der heimische Kunstmarkt in China einen Boom, der den Marktwert der zeitgenössischen chinesischen Kunst steigerte und sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte, weg von ihrem früheren Untergrundstatus der letzten 20 Jahre.
Pop-Art und zynischer Realismus: Arbeitsbeispiele von Fang Lijun, Geng Jianyi, Liu Wie, Wang Qingyi und Wang Jinsong aus den 1990er Jahren.
Arbeitsbeispiele von „Kitschkunst“ von Künstlern wie Gebrüder Luo, Hu Xiangdong und Xu Yihui.
Li Xianting ist eine der wichtigsten Figuren in dieser Entwicklung der zeitgenössischen chinesischen Kunst. Als Kunstkritiker und Kurator brachte er avantgardistische Kunst nach China und beschrieb gleichzeitig der Welt die Essenz der zeitgenössischen chinesischen Kunst. Er förderte die Entwicklung mehrerer Kunstrichtungen in China, wie politischer Pop (政治波普), zynischer Realismus (玩世现实主义) und Kitschkunst (艳俗艺术) und war ein kraftvoller Ausdruck der zeitgenössischen kulturellen Identität Chinas. Nach 2000 begann er, sich der Kuratierung und Forschung unabhängiger Filme zu widmen. 2014 wurde die „Xianting Film Fund“ von der chinesischen Regierung geschlossen. Seine Kunstkritiksammlung „Über Kunst hinaus“ (《重要的不是艺术》) ist eine wertvolle Dokumentation der zeitgenössischen Kunstpraxis der 1980er-1990er Jahre. Sein Einfluss auf das Aufkommen und die Entwicklung der zeitgenössischen chinesischen Kunstbewegung ist bedeutend.
Li Xianting, Kunstkritiker, unabhängiger Kurator
Herr Li Xianting besucht Europa und wir haben das große Vergnügen, ihn einzuladen. Ebenso freuen wir uns, Frau Liao Wen, Herrn Michael Kahn-Ackermann und Frau Jin Weihong, alle eng mit der Entwicklung der zeitgenössischen chinesischen Kunst verbunden, zu einem Gespräch über die zeitgenössische Kunst in China seit den 1980er Jahren einzuladen.
Während der schnellen Entwicklung der zeitgenössischen chinesischen Kunst war Frau Liao Wen als unabhängige Kunstkritikerin und Kuratorin aktiv im zeitgenössischen Kunstgeschehen tätig. Seit den 1990er Jahren umfasst ihr künstlerisches Schaffen internationale und chinesische feministische Kunstforschung und gilt als Vorreiterin in der Erforschung von weiblicher Kunst in China. Sie widmet sich der Verbindung zwischen dem geistlichen Kern und handwerklichem Geschick in der Kunst sowie der Beziehung zwischen künstlerischer Ausdrucksform und dem Selbstverständnis des Künstlers. Sie hat zahlreiche zeitgenössische Ausstellungen kuratiert, darunter „Women’s Approach to Chinese Contemporary Art“ (《中国当代艺术中的女性方式》), „Creating with Their Heart and Blood“ (《心血匠器》), „One Meter Square · Situation“ (《占地一平方米· 处境》), „False Garden“ (《假园》) und „Existence“ (《存在》). In den letzten zehn Jahren hat sie eine Reihe von Theaterexperimenten unter dem Titel „Lebendiges Theater“ durchgeführt. Sie fungiert als Regisseurin, Dramatikerin und Schauspielerin und definiert Kunst, Geschichte und Realität in ihrem zeitgenössischen Kontext neu.
Liao Wen, Kunstkritikerin, unabhängige Kuratorin
Michael Kahn-Ackermann gründete in den 1980er Jahren das Goethe-Institut in Peking und war einer der wenigen Westler, die sich zu dieser Zeit mit zeitgenössischer chinesischer Kunst und chinesischer Tuschmalerei befassten. Als Direktor des Goethe-Instituts in Peking hatte er enge Kontakte zu wichtigen zeitgenössischen chinesischen Künstlern seit den 1980er Jahren. Im Jahr 1993 war er einer der Organisatoren der ersten „avantgardistischen Kunstausstellung“ in Europa, die Werke einiger dieser Künstler zeigte. Herr Kahn-Ackermann sammelte auch frühe Werke einiger chinesischer Künstler und organisierte Ausstellungen für sie. Er verfasst Empfehlungen und Einführungen zur zeitgenössischen chinesischen Kultur und hat eine Reihe von Rezensionen zur zeitgenössischen chinesischen Kunst geschrieben, die seine fast 40-jährige Beobachtung der chinesischen Kultur zusammenfassen. Dabei brachte er Ansichten wie die „Vorzüge von Missverständnissen“ und „hybride Kultur“ ein.
Michael Kahn-Ackermann, Sinologe, ehemaliger Direktor des Goethe-Instituts in Peking
Jin Weihong ist eine zeitgenössische Künstlerin. Nach ihrem Abschluss im Fach chinesische Malerei an der Nanjing University of the Arts Ende der 1980er Jahre beteiligte sie sich an Kunstaktivitäten und begann als Redakteurin für die Zeitschrift „Jiangsu Art Monthly“ (江苏画刊) zu arbeiten, später wurde sie Chefredakteurin. Sie lernte Li Xianting, Liao Wen und Michael Kahn-Ackermann Anfang der 1990er Jahre kennen und seitdem arbeiten sie zusammen. Sie arbeitete über 20 Jahre lang für „Art Monthly“, und in dieser Zeit war der Übergang der zeitgenössischen chinesischen Kunst von der Untergrundszene in die Öffentlichkeit entscheidend. „Art Monthly“ war ab den 1980er Jahren eines der wenigen Publikationen in China, das noch immer in der Untergrundszene verankerte zeitgenössische chinesische Kunst veröffentlichen konnte. Diese Publikation spielte eine wichtige Rolle in der späteren Entwicklung der zeitgenössischen chinesischen Kunstszene.
Jin Weihong, Künstlerin, promovierte Kunsthistorikerin
Bei dieser Veranstaltung werden die vier Gäste an der Freien Universität Berlin ihre Perspektiven auf den Aufstieg und Niedergang der chinesischen zeitgenössischen Kunst seit den 1990er Jahren teilen. Sie werden wichtige Praktiken rekapitulieren, die Beziehung zwischen zeitgenössischer Kunst und der chinesischen Gesellschaft analysieren und die aktuelle Situation der chinesischen Kunst diskutieren.
Datum: 11.05.2024
Zeit: 15:00 – 17.30 Uhr
Veranstaltung in chinesischer Sprache mit Übersetzung ins Deutsche.
Kostenloser Eintritt.
Anmeldung über QR-Code oder hier über den Link zu Eventbrite