Die Blaues Haus Stiftung bietet herausragenden Künstlern die Möglichkeit, in Deutschland (Berlin und Hannover) zu residieren und sich auszutauschen. Jiang Nengjie ist einer der Gastkünstler, die dieses Jahr von der Blaues Haus Stiftung eingeladen wurden. Seit September zeigt er seine Dokumentarfilme und diskutiert mit dem Publikum in verschiedenen europäischen Ländern und Städten. Am 16. November 2024 kehrt er nach Hannover zurück, um seinen Dokumentarfilm Die Kinder der Dorfschule (Children at a Village School) vorzuführen.
Filmplakat von Die Kinder der Dorfschule
Der Zug ist voll beladen mit einem Berg von Waren. Wanderarbeiter drängen sich in die Waggons, während die Kamera schwankt und die Landschaft draußen verschwommen vorbeizieht. Wie Zugvögel ziehen chinesische Wanderarbeiter in die Großstädte, um Arbeit zu finden, und lassen dabei oft die Älteren und die Kinder zurück. Dieses Bild prägt China seit der Reform- und Öffnungspolitik: Diejenigen, die zur Arbeit fortziehen, sind die Wanderarbeiter, während die älteren Menschen und die zurückgelassenen Kinder in den Dörfern bleiben. So beginnt auch der Dokumentarfilm Die Kinder der Dorfschule des chinesischen Regisseurs Jiang Nengjie, der die Herausforderungen der Bildung für die zurückgelassenen Kinder beleuchtet.
Aus dem Dokumentarfilm Die Kinder der Dorfschule
In Gesprächen mit uns berichtete der Regisseur Jiang Nengjie, dass er selbst in einem Dorf aufgewachsen sei, wo seine Eltern in der Landwirtschaft arbeiteten und mit Mühe das Schulgeld für ihn und seine Geschwister aufbringen konnten. Bildung hatte in seiner Familie einen hohen Stellenwert. Zunächst empfand er dies als selbstverständlich, doch nachdem er zum Studium in die Großstadt zog, begann er, seine Heimat und seine Erinnerungen mit anderen Augen zu betrachten.
Regisseur Jiang fragt sich: „Warum kann China mit seiner wirtschaftlichen Entwicklung die ländlichen Regionen nicht besser unterstützen, insbesondere das Bildungswesen? Die Wanderarbeiter, wie auch meine Eltern, sind oft gezwungen, in die Städte zu ziehen. Entweder verdienen sie Geld und sehen ihre Kinder kaum, oder sie verbringen Zeit mit ihren Kindern, können dann aber nicht ausreichend verdienen. Die Städte profitieren von der Arbeitskraft der Wanderarbeiter, ohne jedoch die Bildung der Kinder vor Ort zu sichern. Außerdem bestehen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Diskriminierungen.“
Obwohl Jiang einen Hintergrund als Ingenieur hat, wandte er sich nach seinem Universitätsabschluss im Jahr 2008 dem Dokumentarfilm zu. Die Bildung von Kindern in ländlichen Regionen wurde zu einem seiner zentralen Themen.
Als dieser Film 2014 in China ausgestrahlt wurde, führte er zu breiten Diskussionen in den Medien und in der Gesellschaft. Viele der Kinder im Film sind heute erwachsen. Ein Mädchen aus der Dokumentation spielte später die Rolle der heranwachsenden „Yun Jie“, eines zurückgelassenen Kindes, im Spielfilm Yun Jie, den Jiang schrieb und inszenierte. Dank der Unterstützung sozialer Förderprogramme konnte Yun Jie ihre Schulausbildung fortsetzen.
Filmplakat von Yun Jie
Jiang Nengjie beschreibt die Entstehung und Produktion von Die Kinder der Dorfschule folgendermaßen:
„Dieser Film ist gewissermaßen die Fortsetzung meines Erstlingswerks Der Weg (The Road) aus dem Jahr 2009. Tatsächlich begann ich bereits Ende 2011 mit dem Schnitt, doch aufgrund technischer und persönlicher Umstände zog sich die Nachbearbeitung in die Länge. Schließlich legte ich den Film erst einmal zur Seite, um im Dorf weiter zu filmen und bei Gelegenheit daran weiterzuarbeiten. Der Prozess wurde zu einem Kreislauf aus Drehen, Bearbeiten, Pausen und Reflexion.
Während dieser Zeit fragte ich mich immer wieder: Was bringt das alles? Kann es wirklich etwas verändern? Die Antwort war oft ernüchternd, doch ich konnte das Thema nicht loslassen.
Dank der Aufmerksamkeit bekannter Medien und der Vorführungen von Der Weg verbesserte sich die materielle Situation einiger Kinder. Doch das Problem der fehlenden elterlichen Fürsorge blieb bestehen und verschärfte sich sogar. Fragt man die Kinder nach ihren Träumen, antworten viele nach wie vor, dass sie später arbeiten gehen möchten.
Über eine Crowdfunding-Plattform sammelte ich 2013 genug Geld, um die Nachbearbeitung im April desselben Jahres endlich abzuschließen. Im Juni 2013 nahm ich an einem Filmfestival in Frankfurt teil, was wohl die erste internationale Aufführung des Films war. Durch die Vorbereitung einer Vorschau kehrte auch das anfängliche Engagement zurück: die Hoffnung, dass mehr Menschen auf das Schicksal der zurückgelassenen Kinder aufmerksam werden und sie unterstützen.
Im Februar 2014 war der letzte Schnitt vollendet, nachdem ich das Projekt von 2009 bis 2014 begleitet hatte. Seit Ende 2013 plane ich eine Film-Tournee in mehreren chinesischen Großstädten, um das Bewusstsein für die 61 Millionen zurückgelassenen Kinder in China zu schärfen.“
— Jiang Nengjie, März 2014 in Hunan
Mit großer Freude hat die Blaues Haus Stiftung Jiang Nengjie nach Deutschland eingeladen, um diese bemerkenswerte Dokumentation dem Publikum in Deutschland und weiteren europäischen Ländern zu präsentieren. Zehn Jahre nach seiner Entstehung zeigt der Film noch immer eindrucksvoll die Realität der zurückgelassenen Kinder in den ländlichen Regionen Chinas und regt zum Nachdenken über notwendige Veränderungen an.
Anmeldung:
Die Teilnahme an der Filmvorführung ist kostenlos. Bitte melden Sie sich über den folgenden Link oder QR-Code an:
https://www.eventbrite.com/e/1068971756299
Information zu der Dokumentarfilmvorführung
Datum: | 16. November 2024 |
Uhrzeit: | 15:00 – 17:00 Uhr |
Ort: | Blaues Haus Bibliothek Maschstr. 7, 30169 Hannover |
Filmtitel: | Die Kinder der Dorfschule |
Regie: | Jiang Nengjie |
Genre: | Dokumentarfilm |
Produktionsland: | China |
Laufzeit: | 95 Minuten |
Alternativer Titel: | Hoffnung! Hoffnung! |
Sprache: | Hunan-Dialekt/Mandarin mit chinesischen und englischen Untertiteln |
Über den Regisseur
Jiang Nengjie, Jahrgang 1985, ist unabhängiger Filmproduzent, Dokumentarfilmer und Regisseur. Geboren in Hunan, lebt er seit 2017 in Guangzhou. Jiang ist Gründer des Filmstudios „Mian Hua Sha“ und der Dorfbibliothek „Mian Hua Sha Library“ und wurde mit dem Phoenix Award als einer der zehn herausragenden sozialen Akteure ausgezeichnet.
Seine Werke befassen sich unter anderem mit den Themen zurückgelassene Kinder, Kriegsveteranen, Silikose, Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und Minderheiten. Zu seinen bekannten Filmen zählen Die Kinder der Dorfschule, Grade Nine, Yun Jie, Miners, the Horsekeeper, and Pneumoconiosis, General’s Attendant Guard, We Will Have Everything, Anti-Japanese War Veteran und Rainbow Cruise. Seine Werke wurden auf zahlreichen Festivals gezeigt, darunter das Shanghai International Film Festival, das Warsaw International Film Festival, das Beijing International Film Festival und der Phoenix Documentary Award.
Hinweise:
- Teilnahme ab 14 Jahren möglich.
- Wenn Sie nach der Anmeldung kurzfristig nicht teilnehmen können, stornieren Sie bitte rechtzeitig Ihr Ticket, um anderen die Teilnahme zu ermöglichen.
- Erfolgreich angemeldete Teilnehmer sollten spätestens 5 Minuten vor Beginn des Vortrags anwesend sein.
- Aufzeichnungen sind nicht gestattet, wir danken für Ihr Verständnis.
- Es werden Fotos während der Veranstaltung aufgenommen, die intern von der Blaues Haus Stiftung verwendet werden. Falls Sie Einwände haben, teilen Sie uns dies bitte vorab mit.
Impressionen: